DIE SCHULE VON VOISINLIEUs

 Die Mehrzahl der Fabriken Europas kopierten meine Modelle oder ließen sich von ihnen inspirierten », beteuert Ziegler in seinen Etudes céramiques. Wenngleich die Behauptung offensichtlich übertrieben ist, kann man dennoch nicht abstreiten, dass unter den Anspruchsvollsten und Anerkanntesten, eine große Anzahl sich tatsächlich von Zieglers originellem Stil inspirieren ließ, der bei der Pariser Ausstellung 1844 einige Aufmerksamkeit erregte.

Die Ankunft Zieglers im Beauvais Gebiet markiert den Anfang einer wahren Revolution in der Keramikindustrie dieser Region. Durch die Einführung der rheinischen Technik der Salzglasur erschütterte er eine jahrhundertealte Steinzeugtradition (die ersten, von archäologischen Ausgrabungen bestätigten Erzeugnisse stammen aus dem 14. Jahrhundert).

Denn Ziegler sollte schnell Schule machen. Der Stil verbreitete sich um so schneller im Laufe des Jahrhunderts, da nicht nur die Arbeiter sehr häufig den Ort wechselten, sondern auch die Gussformen ebenso leicht von einer Manufaktur zur anderen übergingen. Als Voisinlieu im 1856 geschlossen wurde, kaufte eine Konkurrenzfabrik die Gussformen und setzte damit teilweise dieselbe Produktion fort. Einige Jahre später gab sie ihrerseits ihr Material und ihr Know-how ab. Insgesamt waren es nicht weniger als acht Manufakturen, die in der Region Beauvais künstlerisch in Zieglers Schuld standen. Die anderen - ohne Ausnahme - verdankten ihm zumindest die Technik der Salzglasur, die nach ihm, selbst beim bescheidensten Hersteller von Filterfontänen und Tabaktöpfen, zur Produktionsnorm wurde. Dieser Einfluss sollte während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Beauvais fortdauern, viel länger als andernorts in Frankreich.

Hugh Wakefield, Kurator am Victoria und Albert Museum, machte folgende Feststellung (Victorian Pottery, London, 1962, S. 52: «Wie es scheint, tauchen die viktorianischen Rankendekors Mitte der 1840er Jahre auf und entsprechen den im Relief ähnlichen Dekors des französischen Steinzeugs aus Beauvais. Der Ausdruck running pattern wurde im Übrigen [erstmals] in einem Bericht verwandt, der von diesem Steinzeug bei der Ausstellung von Paris 1844 handelte, und im selben Jahr im Art Union Magazine erschien». Das Art union Magazine spielte zur damaligen Zeit eine Schlüsselrolle in Großbritannien. Es war in den Milieus der Industrie und der Berufsgenossenschaften in Umlauf und erlaubte ihnen, sich dank der zahlreichen Ausstellungsberichte über die künstlerischen Tendenzen auf dem Laufenden zu halten. Der Artikel, der zur Ausstellung 1844 erschien, berichtete ausführlich von Zieglers ausgestellten Erzeugnissen:

«Nach genauerem Hinsehen erkennt man, dass das Dekor einen Anfang, eine Mitte und ein Ende hat, und dass es genau die Oberfläche des Stückes bedeckt. Eine gewisse Neuerung gibt es in der Gestaltung des Dekors durch die Verwendung einer Schlingpflanze, die von einem Stil, der am Krughenkel befestigt ist, herabhängt; dieses Thema gibt Anlass zu vielen spielerischen Varianten, wie z. B. eine Parasitenpflanze die vertikal wächst, indem sie sich um einen Ständer windet, wie diejenige, die wir auf der Blumenvase aus demselben Material [das Steinzeug] gesehen haben. Wenn solche Modelle in England eingeführt werden sollten, woran wir keinen Zweifel haben, empfehlen wir eine Methode, deren erfolgreiche Anwendung wir in Frankreich gesehen haben: Sie besteht einfach nur darin, Stöckchen und kleine Zweige nach einer Zusammenstellung, die der Form der Krüge, Vasen und Schalen am nächsten kommt, im Garten zu platzieren, anschließend daran Geißblatt, Hopfen, Wicke, Winde, etc. empor wachsen zu lassen und das so erhaltene Resultat als Dekormodell zu nehmen».

In einem 1846 im Art Union Magazine erschienenen Artikel, der dem Kunstgewerbe in Frankreich gewidmet war, kommentiert der Autor die Keramiken, welche er in Paris gesehen hatte und macht einen interessanten Hinweis, der Aufschluss darüber gibt, wie sich der style Beauvais in England verbreitete: «Wir nutzen diese Gelegenheit, um darauf hinzuweisen, dass wir den Herrn Copeland und Garrett aus Stoke-upon-Trent zahlreiche Modelle aus Terrakotta zeigten, die wir in Paris gekauft haben, als Anregungen für Artikel, deren Verbesserung sie vor kurzem viel Aufmerksamkeit schenkten.»

Weitere bekannte Manufakturen in Europa ließen sich vom Beauvais style der vegetabilen und naturalistischen Dekors inspirieren. Die Verbreitung des von Ziegler entwickelten Stils beruhte auf einer dreifachen Dynamik, in der zum einen die Originalität der Neuerungen des Künstlers, zum anderen der unleugbare Modeeffekt, der durch Zieglers hohen persönlichen Bekanntheitsgrad und die ihn bestätigenden Auszeichnungen angefacht wurde, und schließlich das Abwandern einiger seiner Arbeiter in andere Manufakturen Frankreichs zusammenwirkten.
Sein Einfluss breitete sich zu Beginn der 1840er Jahre aus, als Ziegler seine ersten Medaillen gewann, und endete in den späten 1850er Jahren, d. h. zeitgleich mit der Schließung der Voisinlieu Manufaktur (1855) und dem anschließenden Tod ihres Gründers (1856).

Auf ein besonders interessantes Stück, das zwischen um 1860-1870 von Reinhold Hanke in Höhr-Grenzhausen hergestellt wurde, gilt es abschließend noch hinzuweisen. Man erkennt mühelos Zieglers Stück als das von Hanke kopierte Modell wieder. Doch war Hanke dieses Original bekannt? Es gibt Anlass zum Zweifel. In seinem Wunsch, Steinzeug im altdeutschen Stil nach dem Vorbild des Steinzeugs der Renaissance zu schaffen, erwies Hanke unbewusst einem Künstler die Ehre, der selbst dem rheinischen Steinzeug viel zu verdanken hatte ! Zieglers Wiederentdeckung und Neuinterpretation dieses künstlerischen Steinzeugs lag schon fast dreißig Jahre zurück, als die deutsche Begeisterung für den Historismus eine reichhaltige Produktion von Keramikimitationen auslöste.